21.12.2025, 12:32
Normalerweise wäre es Lilith sofort aufgefallen, wenn Mammons Stimmung sich änderte. Menschliche Wut war eines ihrer liebsten Gefühle, weil Menschen so viel intensiver fühlten als die meisten anderen Wesen und ihre Wut daher auch besonders stark in ihrer Aura zu erkennen war. Wut fühlte sich, je nach Intensität, für sie heiß an, kribbelnd auf der Haut, energetisch. Daher machte es ihr auch so einen Spaß, ihn zu ärgern – Mammon war leicht auf die Palme zu bringen, wenn man ihn gut kannte. Und seine Aura aufgrund des Teils in ihm, der menschlich war, unterhaltsamer als die meisten anderen Wesen in der Hölle. Entsprechend aufmerksam war sie auch für seine Stimmung und Änderungen in seiner Aura. Wenn ihn etwas irritierte, dann war das meist ihr erster Ansatzpunkt, um seine Gefühle sogar noch zu beeinflussen.
Aber jetzt bemerkte sie es nicht. Womöglich waren es die Schmerzen, denn ja – selbst wenn sie zu stolz war um es zuzugeben, selbst wenn sie schon das und Schlimmeres erlebt hatte, natürlich waren sie ein konstantes Pochen in ihrem Körper, das sich nicht vollkommen ausblenden ließ. Viel schlimmer und penetranter aber war das, worin sie bisher weder Erfahrungen noch sonstige Referenzwerte hatte: Gefühle.
Sie kamen so schnell, so viele auf einmal und alle durcheinander, dass es ihr schwer fiel, überhaupt alle zu benennen. Manchmal war eins deutlich wahrnehmbarer als die anderen – wie eben, als ihr aufgefallen war, dass Mammon sich um sie sorgte, zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Manchmal wechselten sie so schnell, dass es sich anfühlte wie ein Schleudertrauma. Aber generell waren sie immer da. Es war als wäre sie ununterbrochen unter Beschuss, und jemand hatte sie ihrer Rüstung beraubt.
Abgesehen davon also, dass sie verletzt war, sich auch heute vehement geweigert hatte, Medikamente von Wolfram & Hart anzunehmen, die nicht unbedingt nötig waren – etwa Schmerzmittel – wurde Lilith auch von Minute zu Minute mehr klar, dass sie sich in einem Körper zurecht finden musste, den sie nicht kannte. Von dem sie nicht wusste, wie er funktionierte. In einem Umfeld, einem Leben, das sich in den letzten 24 Stunden um 180 Grad gedreht hatte.
Und diese verdammten Gefühle benebelten ihr den Kopf.
Mammon merkte währenddessen an, dass Medea besonders für eine Dämonin gar nicht so übel war. Ja, Dämonen waren niedere Wesen, so sah man sie in der Hölle. Sie waren das Äquivalent zu den Menschen auf der Erde, unvollkommen und fehlerhaft schon im Design im Vergleich zu den Engeln. Aber das waren die Menschen, wie gesagt, auch – und dass er halb Mensch war, blendete Mammon in solchen Situationen gerne aus. Und Lilith, für ihren Teil, hatte schon immer guten Rückhalt unter sorgfältig ausgewählten Dämonen gefunden. Natürlich gab es auch in dieser Spezies Totalausfälle, aber… die existierten überall.
Sie fand aber nicht die Energie, etwas darauf zu erwidern und ließ den Satz deshalb einfach unkommentiert stehen. Es war ihr sehr bewusst, wie ungewöhnlich dieses Verhalten für sie war; nicht auf seine Worte einzusteigen, egal was er sagte. Gar nichts zurückzugeben jenseits von nüchternen Antworten auf direkt gestellte Fragen, keine Konter, keine Verteidigungen. Sie hatte einfach aktuell nichts in sich, das sie Mammon hätte geben können, egal in welche Richtung. War ihr Charakter, alles was sie war und was sie ausmachte, auch mit ihrer Gnade verschwunden? War sie nur noch eine Hülle, deren Essenz nun in einem Glasgefäß um Luzifers Hals hing?
Sie schluckte, um hoffentlich den Kloß loszuwerden, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, und stellte gleichzeitig fest, dass Mammon immer noch mit ihr sprach. Irgendwas über einen Club… den Beginn seines Satzes hatte sie leider verpasst. Aber sie hatte in den letzten Monaten gehört davon, dass er sich etwas aufgebaut hatte auf der Erde, seine Kräfte wiedererlangt hatte, aber dennoch nicht zurückkehren wollte in die Hölle. Ob es daran lag, dass er die Auflagen ihres Vaters nicht erfüllt hatte und nun zwar wieder seine Macht, aber keine Einladung nach Hause bekommen hatte, oder ob er diese Ebene nun wirklich bevorzugte – das wusste sie nicht. Wahrscheinlich würde sie es bald erfahren, wenn sie darüber sprachen, was geschehen war.
„Ich könnte einen Drink gebrauchen“, entgegnete sie schließlich, weiterhin nur halblaut; wahrscheinlich war es auch für ihn offensichtlich, dass sie gedanklich nicht so ganz anwesend war. Normalerweise hätte sie definitiv größeres Interesse gezeigt an einem Club, der Sünde und Begierde aus allen Besuchern herauskitzelte. Ja, das wäre genau ihr Ding gewesen – Lust war ihre liebste Empfindung direkt nach der Wut. Je unbändiger, desto besser.
Und dann schlug Mammon vor, dass Kisai ihr neue Kleidung besorgen könnte, und Lilith bemerkte, wie zumindest der Anflug eines unwillkürlichen Lächelns über ihre Mundwinkel zuckte. Manchmal merkte man doch, dass sie viel gemeinsam hatten und ähnlich dachten. Es war, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
„In meinem Penthouse Downtown sollten noch welche sein“, war ihre Antwort, und eigentlich wollte sie auch noch etwas hinzufügen, aber dann wurde ihr plötzlich auf eine ganz finale und unangenehme Weise klar, dass nicht nur ihre Sachen dort waren, sondern auch Tans, und dass es eigentlich deren Job gewesen wäre, sie zu holen… nicht Kisais. Aber Tan war nicht mehr da. Und dieser Gedanke ging wieder mit einer ganzen Welle an Gefühlen einher, die Lilith zu diesem Zeitpunkt nicht verarbeiten konnte.
Aber jetzt bemerkte sie es nicht. Womöglich waren es die Schmerzen, denn ja – selbst wenn sie zu stolz war um es zuzugeben, selbst wenn sie schon das und Schlimmeres erlebt hatte, natürlich waren sie ein konstantes Pochen in ihrem Körper, das sich nicht vollkommen ausblenden ließ. Viel schlimmer und penetranter aber war das, worin sie bisher weder Erfahrungen noch sonstige Referenzwerte hatte: Gefühle.
Sie kamen so schnell, so viele auf einmal und alle durcheinander, dass es ihr schwer fiel, überhaupt alle zu benennen. Manchmal war eins deutlich wahrnehmbarer als die anderen – wie eben, als ihr aufgefallen war, dass Mammon sich um sie sorgte, zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Manchmal wechselten sie so schnell, dass es sich anfühlte wie ein Schleudertrauma. Aber generell waren sie immer da. Es war als wäre sie ununterbrochen unter Beschuss, und jemand hatte sie ihrer Rüstung beraubt.
Abgesehen davon also, dass sie verletzt war, sich auch heute vehement geweigert hatte, Medikamente von Wolfram & Hart anzunehmen, die nicht unbedingt nötig waren – etwa Schmerzmittel – wurde Lilith auch von Minute zu Minute mehr klar, dass sie sich in einem Körper zurecht finden musste, den sie nicht kannte. Von dem sie nicht wusste, wie er funktionierte. In einem Umfeld, einem Leben, das sich in den letzten 24 Stunden um 180 Grad gedreht hatte.
Und diese verdammten Gefühle benebelten ihr den Kopf.
Mammon merkte währenddessen an, dass Medea besonders für eine Dämonin gar nicht so übel war. Ja, Dämonen waren niedere Wesen, so sah man sie in der Hölle. Sie waren das Äquivalent zu den Menschen auf der Erde, unvollkommen und fehlerhaft schon im Design im Vergleich zu den Engeln. Aber das waren die Menschen, wie gesagt, auch – und dass er halb Mensch war, blendete Mammon in solchen Situationen gerne aus. Und Lilith, für ihren Teil, hatte schon immer guten Rückhalt unter sorgfältig ausgewählten Dämonen gefunden. Natürlich gab es auch in dieser Spezies Totalausfälle, aber… die existierten überall.
Sie fand aber nicht die Energie, etwas darauf zu erwidern und ließ den Satz deshalb einfach unkommentiert stehen. Es war ihr sehr bewusst, wie ungewöhnlich dieses Verhalten für sie war; nicht auf seine Worte einzusteigen, egal was er sagte. Gar nichts zurückzugeben jenseits von nüchternen Antworten auf direkt gestellte Fragen, keine Konter, keine Verteidigungen. Sie hatte einfach aktuell nichts in sich, das sie Mammon hätte geben können, egal in welche Richtung. War ihr Charakter, alles was sie war und was sie ausmachte, auch mit ihrer Gnade verschwunden? War sie nur noch eine Hülle, deren Essenz nun in einem Glasgefäß um Luzifers Hals hing?
Sie schluckte, um hoffentlich den Kloß loszuwerden, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, und stellte gleichzeitig fest, dass Mammon immer noch mit ihr sprach. Irgendwas über einen Club… den Beginn seines Satzes hatte sie leider verpasst. Aber sie hatte in den letzten Monaten gehört davon, dass er sich etwas aufgebaut hatte auf der Erde, seine Kräfte wiedererlangt hatte, aber dennoch nicht zurückkehren wollte in die Hölle. Ob es daran lag, dass er die Auflagen ihres Vaters nicht erfüllt hatte und nun zwar wieder seine Macht, aber keine Einladung nach Hause bekommen hatte, oder ob er diese Ebene nun wirklich bevorzugte – das wusste sie nicht. Wahrscheinlich würde sie es bald erfahren, wenn sie darüber sprachen, was geschehen war.
„Ich könnte einen Drink gebrauchen“, entgegnete sie schließlich, weiterhin nur halblaut; wahrscheinlich war es auch für ihn offensichtlich, dass sie gedanklich nicht so ganz anwesend war. Normalerweise hätte sie definitiv größeres Interesse gezeigt an einem Club, der Sünde und Begierde aus allen Besuchern herauskitzelte. Ja, das wäre genau ihr Ding gewesen – Lust war ihre liebste Empfindung direkt nach der Wut. Je unbändiger, desto besser.
Und dann schlug Mammon vor, dass Kisai ihr neue Kleidung besorgen könnte, und Lilith bemerkte, wie zumindest der Anflug eines unwillkürlichen Lächelns über ihre Mundwinkel zuckte. Manchmal merkte man doch, dass sie viel gemeinsam hatten und ähnlich dachten. Es war, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
„In meinem Penthouse Downtown sollten noch welche sein“, war ihre Antwort, und eigentlich wollte sie auch noch etwas hinzufügen, aber dann wurde ihr plötzlich auf eine ganz finale und unangenehme Weise klar, dass nicht nur ihre Sachen dort waren, sondern auch Tans, und dass es eigentlich deren Job gewesen wäre, sie zu holen… nicht Kisais. Aber Tan war nicht mehr da. Und dieser Gedanke ging wieder mit einer ganzen Welle an Gefühlen einher, die Lilith zu diesem Zeitpunkt nicht verarbeiten konnte.

